Roncalli Gründer und Circusdirektor Bernhard Paul Interview in kleineslaster.com, dem Blog der Konditorei Heinemann

Mit Fantasie und Poesie die Welt ertragen: Roncalli-Gründer Bernhard Paul

Lebenstraum: Bernhard Paul als Clown Zippo © Circus Roncalli GmbH
Lebenstraum: Roncalli-Gründer Bernhard Paul als Clown Zippo © Circus Roncalli GmbH © Circus Roncalli GmbH

Bernhard Paul lässt sich nicht auf eine Rolle reduzieren, sein Leben und Schaffen ist ein einzigartiges  Gesamtkunstwerk. Dass seine „Reise zum Regenbogen“ (so der Titel seiner Autobiografie) dabei oft ein steiniger Weg war, berichtet er ebenso ehrlich, wie er uns von den Herausforderungen, Glücksmomenten und Enttäuschungen seines Lebens erzählt. Wir lernen einen Menschen kennen, den Fantasie und Kreativität beflügelt haben und ihn zu all dem werden ließen, was er heute ist. Künstler, Grafiker, Musiker, Clown, Sammler und Feinschmecker – und Erfinder des Circus Roncalli. Wir besuchen Bernhard Paul in seinem Zuhause im Kölner Roncalli-Winterquartier und plaudern mit Ihm – bei ein paar Trüffeln mit Champagne aus der Konditorei Heinemann.

Lieber große statt kleine Laster: Bernhard Paul
Lieber große statt kleine Laster: Bernhard Paul
Leidenschaftlicher Erzähler: Bernhard Paul
Leidenschaftlicher Erzähler: Bernhard Paul

Bernhard Paul: Wie man ein Clown wird


Herr Paul, Sie sind Gründer und Direktor des Circus Roncalli, treten manchmal aber auch als Clown Zippo auf. Sind Clowns die glücklicheren Menschen?
Auf gar keinen Fall. Die Idee vom weisen oder philosophischen Clown kann man getrost vergessen, die sind sehr selten. Clowns sind so individuell wie Leute mit anderen Berufen auch, sie sind völlig normale Menschen. Es gibt Clowns, die sind perfekt in Schminke und Kostüm, im Privatleben aber überhaupt nicht lustig. Oder umgekehrt: privat sehr lustig, aber in der Manege nicht. Ich hatte das Glück, drei hervorragende Clowns zu treffen, mit denen ich im Circus Roncalli immer gerne zusammengearbeitet habe: Fredi Codrelli, Angelo Muñoz und der Weißclown Francesco Caroli. Clowns können jedoch mitunter recht schwierige Zeitgenossen sein. Ich habe es schon erlebt, dass ein Clown, den ich über Jahre ausgebildet und für den ich dessen Schminke, Figur, Nummern und Pointen entwickelt hatte, mir in den Rücken gefallen ist. Er hat einfach seinen eigenen Circus eröffnet. Dieser war allerdings nach drei Monaten pleite.

Ihr Vorbild war der Clown Grock, dessen Nachlass Sie auch ersteigert haben. Konnten Sie ihn einmal persönlich erleben?
Leider nein, er starb 1958, da war ich noch ein Kind und Grock trat da schon nicht mehr auf. Dieser Clown hat mich mit seiner Kunst fasziniert und geprägt. Als Sechsjähriger sah ich einen Film über ihn im Kino und es war um mich geschehen: Von dieser Stunde an wollte ich Clown werden. Nicht etwa Circus machen, sondern Clown werden. Wieder zu Hause habe ich die bunte Trainingshose meines Vaters angezogen, mich mit weißer Schuhcreme geschminkt, die im Gesicht tierisch gebrannt hat, mir eine Nase aus einem Weinflaschenüberzug gebastelt und dann die Violine meines Bruders missbraucht. Grock spielte ja auf dieser berühmten kleinen Violine, die heute in meinem Besitz ist. Wenn ich sie anschaue, werde ich ganz wehmütig. Weil ich nun mal unbedingt Clown werden wollte, habe ich dann  eben meinen eigenen Circus gegründet und mich selbst engagiert.
Grock war ein weiser Clown, eine Ausnahmeerscheinung, er hat mein Leben verändert. Und nicht nur das – er war auch ein hervorragender Musiker, Komponist und Zeichner, hat acht Sprachen gesprochen und Filme produziert – ganz nach seinem Vorbild Charlie Chaplin. Grock baute sich eine Villa in der Nähe von Genua. Diese hätte ich fast gekauft, um darin ein Museum für mein Idol zu errichten. Die Verhandlungen waren schon abgeschlossen, dann gab es jedoch einen Regierungswechsel und die neuen Entscheider versagten mir diese Möglichkeit. 

Fahrendes Lebenswerk: Bernhard Pauls Circus Roncalli, hier ein Wagen im Winterquartier
Fahrendes Lebenswerk: Bernhard Pauls Circus Roncalli, hier ein Wagen im Winterquartier
Idol: Clown Grock, dessen Büste in Bernhard Pauls Haus die Besucher empfängt
Idol: Clown Grock, dessen Büste in Bernhard Pauls Haus die Besucher empfängt
Pauls größter Wunsch seit Kindertagen: Clown zu sein
Pauls größter Wunsch seit Kindertagen: Clown zu sein
Roncalli überall: Teppich mit Roncalli-Logo im Hausflur
Roncalli überall: Teppich mit Roncalli-Logo im Hausflur

Bernhard Paul: Wie man aus dem Nichts etwas erschafft


„Ich sammle Sammlungen“, haben Sie einmal gesagt, und Sie sammeln z. B. alte Kaufmannsläden, Schaustellergeschäfte, Plakate, Beatles-Devotionalien … Woher rührt Ihre große Sammelleidenschaft?
Ich war als Kind schon ein Sammler. Alles habe ich eingesteckt, Schneckenhäuschen, seltene Steine, die wanderten in die Taschen meiner Lederhose und die waren natürlich immer zerfetzt von all meinen Schätzen. Auch Werbemittel haben mich früh begeistert, schöne Emaille-Schilder oder Werbefiguren. Mein Onkel hatte damals einen Tante-Emma-Laden. In einem der Regale stand eine Werbefigur, ein Koch mit einem Gugelhupf in der Hand. Die Figur hat mich dermaßen fasziniert, dass ich meinen Onkel immer bedrängt habe, sie mir zu schenken. Als er irgendwann seinen Laden zusperrte, hat er sie mir überlassen und nun steht sie bei uns in der Küche.
Ich hatte immer schon ein Auge für Design. Da ich kurzsichtig war, trug ich als Junge eine Brille, eines dieser hässlichen Kassengestelle. Später habe ich mir gemeinsam mit meinem Freund Udo Proksch meine erste Brille designt und er stellte sie unter dem Label Viennaline her. Sie hatte die Form einer Pilotenbrille. Die Marke Carrera wurde später mit diesen Brillen bekannt. Ich hatte Udo durch meine Arbeit als Art Director bei der Wiener Zeitschrift Profil kennengelernt, er wurde von uns interviewt. Er war ein wirklich außergewöhnlicher Mensch, ein Enfant terrible, war auf vielen Gebieten bewandert, nicht nur als Designer. Er leitete auch die berühmte K. u. K. Hofzuckerbäckerei Demel und unterhielt beste Kontakte in die Politik. Eine schillernde Figur, die jedoch auch in den Österreichischen Jahrhundertskandal um den Untergang der Lucona verstrickt war.

Kreativer Generalist: Paul mit Pilotenbrille, die seiner ersten selbst designten ähnelt
Kreativer Generalist: Paul mit Pilotenbrille, die seiner ersten selbst designten ähnelt
Leidenschaftlicher Sammler: Erinnerungen hinter Glas
Leidenschaftlicher Sammler: Erinnerungen hinter Glas
Lebensinhalt: Clownsfiguren, wohin das Auge blickt
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Rock´n-Roll-Fan: auf dieser Gitarre haben sich Berühmheiten verewigt
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Was ist wichtiger auf dem Weg zum Erfolg: Kreativität oder Zielstrebigkeit?
Ich antworte mit einem Zitat: Wer nicht brennt, kann nicht entzünden. Wenn ich nicht für das brenne, wofür ich lebe, werde ich niemals erfolgreich sein. Jedoch Erfolg an sich anzustreben, ist keine gute Idee. Ich glaube daran, dass wenn man etwas richtig gut macht, dies den Erfolg nach sich zieht. Ich bin in einem kleinen Österreichischen Dorf als Sohn eines Fabrikarbeiters geboren und habe mich befreit und auf den Weg gemacht. Weil ich etwas wollte, für etwas gelebt habe, für etwas gebrannt habe.

Waren die bescheidenen Lebensumstände Ihrer Kindheit vielleicht ein Grund für die Entwicklung Ihrer Fantasie?
Alle anderen Kinder im Ort bekamen von ihren Eltern etwas geschenkt, einen Tretroller zum Beispiel. Ich nicht. Ein Dreirad. Ich nicht. Ein Fahrrad, ein Mofa … ich nicht. Ich habe dann vom Fluss angeschwemmte Teile oder auch Schrott gesammelt. Daraus habe ich mir mein erstes Rad gebaut. Eine Lampe und einen Dynamo konnte ich mir immerhin kaufen. Als es fertig war, habe ich mein Rad himmelblau angestrichen und es bunt verziert – und es war schön. Ein anderes Beispiel: Die Rock´n-Roll-Stars von damals, Peter Kraus und Conny Froboess, die trugen so tolle schwarz-weiße Schuhe, so welche wollte ich unbedingt auch haben. Meine Mutter wollte mir natürlich keine kaufen. So kam ich auf die Idee, wenigstens weiße Schnürsenkel in meine schwarzen Schuhe zu binden. Ich habe oft aus Nichts etwas Schönes gemacht, nur mit Fantasie und Willen. Diese Erfahrung  war zielführend, denn ich habe ja keinen Circus geerbt, sondern auch ihn aus dem Nichts erschaffen.

Ein Traum wir Wirklichkeit: Modell des Circus Roncalli
Ein Traum wir Wirklichkeit: Modell des Circus Roncalli

Bernhard Paul: Wie unter Druck aus Kohle Diamant wird


Hat denn niemand aus Ihrem Umfeld ihre kreativen Talente erkannt und gefördert?
Ich war immer das schwarze Schaf der Familie. Meine Mutter war Tochter eines Schuldirektors und sprach oft das geflügelte Wort: Wenn du nicht lernst, wirst du beim Circus enden. Diese Aussicht war gesellschaftlich wahrlich kein Highlight. Mein fünf Jahre älterer Bruder Werner war der Liebling meiner Mutter, der durfte alles. Einmal spielten wir zu Hause mit Schüsseln, wir ließen sie, so lange es ging, auf dem Küchentisch kreiseln. Werners Schüssel landete auf dem Boden und zersprang in tausend Teile. In dem Moment trat meine Mutter durch die Tür und ich bekam eine schallende Ohrfeige. „Ich war das aber doch gar nicht“, jammerte ich, aber Werner schwieg nur. So war das bei uns. Mit dreizehn Jahren kam ich zwar ins Internat, aber dort in der strengen Klosteratmosphäre war es auch nicht gerade lustig. Als ich mit dem Circus Roncalli bekannter wurde, hatte ich meiner Mutter erzählt, dass der Spiegel auf sechs Seiten über mich berichtet. Ihre Antwort: „Aber der Werner ist in der St. Pöltener Zeitung“. Mein Bruder war in einem kleinen Bericht auf einem Reiterbild zu sehen, mit zwölf anderen. Ich konnte es ihr einfach nicht recht machen.

Als Junge wurde ich wegen meiner roten Haare oft gehänselt. Damals war ich Ministrant, machte bei Messen, Hochzeiten und Beerdigungen mit. Irgendwann begegnete ich dabei einem sehr netten holländischen Pfarrer. Dieser verstand sofort, dass es dem kleinen Bub mit dem roten Haarschopf nicht so gut ging. Er streichelte mir über den Kopf und sagte mit seinem leichten Akzent: „Na, Junge mit den goldenen Haaren?“ Wie anders das klang! Wie schön und besonders. Sonst hörte ich von den Bauernkindern nur: „Rostiger! Da kommt die Feuerwehr!“. Und von diesem holländischen Pfarrer habe ich noch eine ganz besondere Lebensweisheit: Unter hohem Druck entsteht aus Kohle Diamant. Das habe ich mir bis heute gemerkt. Und Druck habe ich immer genug gehabt.

Haben Sie als Ministrant noch mehr fürs Leben gelernt?
Angesichts der unterschiedlich langen Messen eigentlich nur eins: Wenn du etwas Längeres vorhast, geh vorher aufs Klo.

Ihre elterliche Familie hat Sie also wenig unterstützt. Ist der Circus Roncalli zu Ihrer Ersatzfamilie geworden?
Zunächst schon. Für mich waren Leute wie Fredi Codrelli, mit dem ich meine ersten Clownsnummern gemacht habe, jahrelang sehr wichtig. Dann habe ich meine Frau Eliana Larible kennen gelernt. Ungefähr zur selben Zeit starben erst mein Bruder Werner, kurz darauf dann meine Eltern. Elli und ich bekamen schnell unsere drei Kinder. Das war dann meine richtige Familie. Meine Frau entstammt einer großen Circus-Dynastie und ist verwandt mit halb Italien. Ein Onkel von Elli hat einmal zum Familienfest in den Mailänder Palazzo Trussardi eingeladen, auf dem Foto waren zweihundert Leute. Erst hatte ich also eine kleine Familie, dann gar keine und zuletzt eine riesige.

Nimmt kein Blatt vor den Mund: Roncalli-Direktor Bernhard Paul
Nimmt kein Blatt vor den Mund: Roncalli-Direktor Bernhard Paul

Bernhard Paul: Wie schön die Welt mit Fantasie, Poesie und Freude ist


Was bedeutet Freundschaft für Sie?
Besonders wertvoll sind Freundschaften, wenn man sie von Kindheit an hat. Mein bester Freund aus Kindertagen war Manfred Deix, der ein bekannter Karikaturist wurde. Wir arbeiteten später zusammen bei der Zeitschrift Profil, er als Illustrator, ich als Art Director. Leider ist er früh verstorben. Seine Drinks trank er nicht glasweise, sondern bestellte stets eine Flasche, und er hat eine Stange Zigaretten am Tag geraucht. Dieser Lebensstil hat seinen Tribut gefordert.
Ich habe mit Freundschaften aber auch einige Enttäuschungen erlebt. Denn Freundschaften muss man nun mal pflegen, auch mal anrufen oder schreiben. Freunde zu sein, bedeutet ein beidseitiges Geben und Nehmen. Manche nehmen aber nur. Wobei es nicht auf große Gesten oder Geschenke ankommt. Mich hat nach einer Vorstellung in Wien ein altes Mütterchen aufgesucht, nur um mir einen selbstgebackenen Gugelhupf mit den schlichten Worten „Der ist für Sie“ zu überreichen. Sie hat also eingekauft, Teig geknetet und gebacken, Staubzucker darüber gestreut, sich mit der Straßenbahn auf den Weg in den ersten Bezirk gemacht, nur um mir diese Freude zu machen. Dieser Moment war für mich wertvoller als alle teuren Geschenke dieser Welt.

Was für ein Menschenschlag ist das eigentlich, der beim Circus arbeitet?
Das kommt drauf an, wo man herkommt. Die Russen kommen meist vom Sport. Die Südländer, Italiener oder Spanier, sind ein eigener Schlag, die haben einen starken familiären Zusammenhalt. Ich mag das sehr. Jedenfalls sind Circus-Leute das wohltuende Gegenteil vom Spießbürger. Obwohl sie natürlich auch klare Regeln haben, nach denen sie leben.

Warum brauchen wir gerade heute die Kunst und die Fantasie eines Circus Roncalli?
Wenn ich allein in den Städten unterwegs bin, in denen wir auftreten, treffe ich immer öfter auf Menschen, die sich bei mir bedanken. Für die Freude, die wir bringen, sogar für mein Lebenswerk. Diejenigen, die den Circus Roncalli schon als Kind besucht hatten, sind froh, dass auch ihre Kinder uns noch erleben können. Wir sind ein Reisecircus, der auf Tournee geht, was so etwas wie die Formel 1 des Circus ist. Andere machen nur noch Weihnachtscircus und spielen vor drei Leuten. Wir haben es mit Roncalli geschafft, uns immer wieder neu zu erfinden. Wir verbreiten Freude, nicht Todesangst. Ich brauche ja nur den Fernseher anschalten, da habe ich Todesangst genug. Wir machen Nummern zum Hinschauen, nicht zum Wegschauen. Denn schon als kleiner Bub saß ich im Circus und habe mit schweißnassen Händen gebibbert, dass der Drahtseilkünstler nicht abstürzt, dass der Mann in der Todeskugel überlebt. Ich wollte so etwas nicht, ich wollte das, was mir Spaß macht: Seifenblasen und Fantasie, Poesie und Freude.

Hat sich seine Bescheidenheit bewahrt: Roncalli-Erfinder Bernhard Paul
Hat sich seine Bescheidenheit bewahrt: Roncalli-Erfinder Bernhard Paul

Bernhard Paul: Wie man den Circus verändern und sich treu bleiben kann


Mit welchen Gefühlen schauen Sie auf Ihr bisheriges Lebenswerk?
Es gab mal eine Dokumentation, die hieß „Berufsziel Kind bleiben“. Dieses Ziel habe ich verfolgt und es ist mir wohl gelungen.

Sind Sie stolz auf sich?
Ich bin ein Leben lang unterschätzt worden und daher vom Charakter her nicht so selbstbewusst. Und ich war immer eher bescheiden als stolz. Es gibt eine Szene im Film Der Zirkus, mit Charlie Chaplin. Er steht auf einer silbernen Kugel und balanciert und balanciert und balanciert … Er denkt, super, jetzt habe ich es geschafft und macht eine unachtsame Bewegung – und fällt herunter. Ich habe Angst, zu früh zu triumphieren und dann abzustürzen und so habe ich gelernt, mich erst dann zu freuen, wenn etwas lang vorbei ist.

Inwiefern hat sich Ihr Konzept, Circus zu machen, in den letzten Jahren verändert?
Man darf nie auf fahrende Züge aufspringen, sondern man sollte die Lokomotive sein. Es gab eine Zeit, da hatten wir noch Elefanten und Raubtiere. Das hat sich geändert, da ich Entwicklungen nicht verpasse und den Zeitgeist wahrnehme. Und Tierschutz war ja auch für mich ein Thema. Irgendwann stand ich bei unseren Pferden, die mitten in Köln auf dem umtosten Neumarkt untergebracht waren. Sie hatten es schon gut auf ihrem Stroh, doch drum herum war es laut, die Luft war schlecht. Das war der Moment, als ich beschloss, die Circus-Tiere abzuschaffen. So bin ich auf die Idee gekommen, Tiere als Holografie zu inszenieren. Wir haben lange an der Umsetzung gearbeitet und jetzt springen wieder Pferde und Elefanten durch die Mange, aber ganz aus Sternenstaub. Die Idee wurde vom Publikum positiv aufgenommen und, wie könnte es anders sein, von anderen Circussen vielfach kopiert. Außerdem haben wir das Plastik abgeschafft, was mehr Arbeit und mehr Kosten bedeutet, aber der richtige Schritt ist. Man muss sich immer weiterbewegen.

Wie wird der Circus Roncalli vielleicht in ferner Zukunft aussehen?
Das weiß niemand. Denn unser Problem ist der Nachwuchs. Die Leute scheuen Mühsal und wollen immer weniger arbeiten. Wie soll ein Circus wie Roncalli mit einer Viertagewoche funktionieren? Das geht einfach nicht.

Tierschutz und Erfindungsreichtum: Elefanten in der Manege als Holografie © Bernhard Schär
Tierschutz und Erfindungsreichtum: Elefanten in der Manege als Holografie © Bernhard Schär

Bernhard Paul: Wie man als Reisender Heimat auf der Zunge schmecken kann


Wenn man so viel herumreist wie Sie und alle paar Wochen in einer anderen Stadt gastiert: Was bedeutet Ihnen der Begriff Heimat?
Heimat hat man oder hat man nicht. Ich bin in einem Dorf in Österreich aufgewachsen und dieser Ort ist für mich Heimat. Hiermit verbinde ich Erinnerungen, wie Einkäufe im Tante-Emma-Laden, durch den der Geruch von Sauerkraut zog, oder im Wald mit der Milchkanne Himbeeren pflücken, aus denen die Mutter dann Marmelade gekocht hat. Das ist der Geruch und Geschmack von Heimat.

Welche weiteren Gerüche und Geschmäcker verbinden Sie mit Ihrer Kindheit in Österreich?
Meine Mutter hat meiner Frau Elli all meine Lieblingsgerichte beigebracht. Denn ich liebe Fleischlaberln, Fleischknödel, Sauerkraut und Schnitzel. In Deutschland habe ich noch kein gutes Schnitzel gegessen. Ich finde, es muss eine bestimmte Panade haben, die wellig gebraten sein muss, das können sie richtig gut in den Wiener Beiseln. Elli kocht aber auch hervorragende italienische Gerichte, die sie von ihrer Mutter gelernt hat, Spaghetti Vongole, mit Muscheln frisch von der Markthalle, oder ihre berühmten Baby-Calamari, da träumt man von. Ich genieße also eine Mischung aus österreichischer und italienischer Küche, besser geht es nicht. Und wir beide lieben einen guten starken Kaffee, also nicht so einen dünnen, wie man ihn manchmal im Flugzeug serviert bekommt. So einen nenne ich nicht schwach, sondern hilflos.

Hat sich Ihr kulinarischer Geschmack im Laufe des Lebens verändert oder haben Sie noch genau dieselben Vorlieben?
Mein Geschmack ist im Laufe des Lebens und mit der Erfahrung anspruchsvoller geworden. Und ich wurde im Jahr 2016 sogar vom Gault-Millau zum Feinschmecker des Jahres gekürt. Früher war eine Bratwurst schon super für mich, ich hatte ja nie Geld. Aber der Taufpate meines Sohnes ist Heinz-Richard Heinemann, der meiner ältesten Tochter ist Gerd Käfer und auch Alfons Schuhbeck ist ein guter Freund von mir. Wer sich mit solchen Leuten umgibt, verfeinert seinen Geschmack. Ein Sternegericht schmeckt schon einzigartig. Aber ich kann immer noch eine einfache Bratwurst genießen, wenn ich Lust darauf habe.

„Leibconditor“ Heinz-Richard Heinemann: Torte für Bernhard Paul zum 20. Jubiläum des Circus Roncalli 1996
„Leibconditor“ Heinz-Richard Heinemann: Torte für Bernhard Paul zum 20. Jubiläum des Circus Roncalli 1996
25 Jahre Circus Roncalli: Clown Zippo alias Bernhard Paul mit Heinemann-Torte
25 Jahre Circus Roncalli: Clown Zippo alias Bernhard Paul mit Heinemann-Torte

Bernhard Paul: Wie man Perfektion und Genuss unter einen Hut bringt


Was bedeutet für Sie als gebürtigem Österreicher Kaffeehauskultur?
Erst einmal braucht man ein bisschen Zeit für einen Kaffeehausbesuch. Ein Kaffeehaus bedeutet nicht Coffee to go. Es bedeutet Coffee to sit. Dann gehören ganz bestimmte Gerichte dazu, in Wien ist das ein Fiakergulasch, mit Würstchen und Spiegelei und dazu noch Eierspeisen diverser Art.

Wenn ihr Zirkus eine Torte wäre, welche wäre es dann?
Ribisltorte, so nennen die Wiener eine Johannisbeertorte. Ich weiß nicht warum, vielleicht weil sie süß und sauer gleichzeitig ist.

Und was verbindet Sie mit Heinz-Richard Heinemann?
Das wir beide gerne den Dingen auf den Grund gehen und unsere Aufgaben ernst nehmen. Genau wie ich ist Heinz-Richard detailverliebt und in vielerlei Hinsicht kreativ. Mich motiviert, dass er auch nicht nachlässt. Ich würde also sagen, dass wir uns gegenseitig motivieren und inspirieren. Und wir haben ein ähnliches Schicksal: das Streben nach und die Liebe zur Harmonie und zur Perfektion.

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, der Perfektion nahe gekommen zu sein?
Beim Thema Perfektion muss ich in eine andere Zeit zurückgehen. Da denke ich an die Architektur, an Wiener Architekten wie Otto Wagner, oder auch an die Architekten des Bauhaus. Oder ich gehe durch Barcelona und sterbe vor Bewunderung für die schöne Architektur dort. Dann denke ich: ja, das ist perfekt, das kann man nicht besser machen.
In der Wahrnehmung des Circus Roncalli wird oft der Ausdruck Gesamtkunstwerk verwendet. Und angesichts der vielen Nachahmer um uns herum komme ich auf den Gedanken, dass ich doch einiges richtig gemacht habe. Es ist wohl ein Maßstab, wenn man kopiert wird. Aber ich ärgere mich immer besonders, wenn wir schlecht kopiert werden. Darüber hinaus sind Perfektionisten aber auch arme Schweine, die sind nie zufrieden. Wenn alles perfekt scheint in der Manege, entdecke ich immer noch die eine Glühbirne, die nicht leuchtet.

Ein Herz für Lebenskunst und Genuss: Bernhard Paul
Ein Herz für Lebenskunst und Genuss: Bernhard Paul

Bernhard Paul: Was ein Circus-Direktor und ein Konditormeister gemeinsam haben


Sehen Sie Parallelen zwischen den besonderen Orten Circus Roncalli und Konditorei Heinemann?
Sowohl eine Konditorei als auch ein Circus sind magische Orte. Wir gehören in eine Kategorie der angenehmen Seiten des Lebens. Konditoreien haben mich als Kind fasziniert, allein schon das Wort klang für mich wie ein Versprechen. Mein erster Besuch in einer Konditorei, der Konditorei Knapp in meinem Heimatort Wilhelmsburg, ist mir noch gut in Erinnerung. An den Wänden hingen schöne Zeichnungen meines Kunstlehrers und es gab die besten Schaumspitzn und Indianerkrapfn. Es war ein wunderbarer und sinnlicher Ort.

Welche Kunststücke beherrschen Sie und Heinz-Richard Heinemann auf ähnliche Weise? 
Wir können Nahrungsmittel verschwinden lassen.

Wäre Heinz-Richard Heinemann auch ein guter Circus-Direktor?
Er hat guten Geschmack, einen Hang zur Perfektion und ist kreativ. Diese Eigenschaften braucht man. Also wahrscheinlich ja. Und ein Café ist ja auch ein bisschen wie ein Circus.

Würden Sie sagen, dass Sie ein kleines Laster haben?
Kleine Laster sind nichts für mich, ich habe ein großes: gutes Essen. Dabei lege ich mich nicht auf bestimmte Speisen fest, sie müssen gut und mit Liebe gemacht sein.

Lieber große statt kleine Laster: Bernhard Paul
Lieber große statt kleine Laster: Bernhard Paul

Bernhard Paul: Warum es einen Circus-Himmel gibt


Sie vereinen viele Rollen in einer Person: Ehemann und Vater, Geschäftsmann und Künstler, Circusdirektor und Clown. Welche Rollen würden Sie in Ihrem Leben noch gerne spielen?
Ich bin mit dem, was ich mache, vollkommen ausgelastet.

Was haben Sie Ihrer Meinung nach besonders richtig und gut gemacht in Ihrem bisherigen Leben?
Ich habe mit meiner Arbeit dazu beigetragen, dass es den Circus weiterhin gibt. Nicht nur den Circus Roncalli, auch die anderen.

Gibt es etwas, was Sie bereuen?
Einige menschliche Enttäuschungen hätte ich mir gerne erspart. Man hat mir sehr wehgetan und das hätte nicht sein müssen. Aber man schaut ja in die Menschen nicht hinein. Es sind eben nicht alle ehrlich und fair und ich hätte mir von meinen Mitmenschen mehr Fairness gewünscht.

Was bedeutet Glück für Sie?
Glück ist ein Zustand.

Glauben Sie an eine höhere Macht?
Ja. Diese gibt es in jeder Religion. Ob diese höhere Macht einen weißen Bart hat oder ein Nachthemd trägt, das ist egal, vielleicht ist es ja auch kein Mann, sondern eine Frau. Wahrscheinlich sogar. Auch diejenigen, die behaupten, nicht an einen Gott zu glauben, beten zu ihm, wenn ihr Flugzeug abzustürzen droht. Ich glaube, im Innersten weiß es jeder, dass es etwas Höheres gibt als uns. Und im Laufe des Lebens gibt es auch Beweise dafür.

Stellen Sie sich vor, in ferner Zukunft kommen Sie im Himmel an und entdecken dort ein Circus-Zelt, in dem alle Menschen auf Sie warten, die Ihnen in Ihrem Leben nahegekommen sind. Mit wem würden Sie am liebsten die Unendlichkeit verbringen?
Es gibt ganz sicher einen Circus-Himmel, da werden all meine alten Freunde sein. Ob es ein Circus-Zelt ist, wer weiß das schon. Dort werden die Menschen sein, die ich liebe, auch Musiker wie Elvis Presley und John Lennon, die machen dort Musik.

Wenn uns Clown Zippo eine kleine Lebensweisheit mitgeben würde, welche wäre es?
Jeder Tag, an dem du nicht lächelst, ist ein verlorener Tag. Man sollte positiv denken, positiv leben und niemandem wehtun. Denn es kommt alles zurück.

Lieber Bernhard Paul, vielen Dank für das Gespräch.

Autobiografie: Bernhard Pauls Reise zum Regenbogen
Autobiografie: Bernhard Pauls Reise zum Regenbogen

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Fotos: Martín Blum/mind.work

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